• Michael Longhino und Norbert Glieder im Gastgarten des gut.-Restaurants.

    Michael Longhino (links) und Norbert Glieder (rechts) im Gastgarten des gut.-Restaurants.

30.08.2023

Anschluss im Berufsleben finden

In den Sozialökonomischen Betrieben der Chance B erhielten in den vergangenen 15 Jahren rund 500 Personen die Möglichkeit, sich auf einen Job in der Wirtschaft vorzubereiten. Menschen, die am Arbeitsmarkt nicht Fuß fassen konnten, bauen hier durch individuelle Begleitung ihre persönlichen Fähigkeiten aus, um (wieder) Anschluss im Berufsleben zu finden. Diese sogenannten Transitarbeitsplätze sind zeitlich befristet und werden mit finanzieller Unterstützung des Arbeitsmarktservice Steiermark geschaffen. Wir haben nachgefragt, wie sich dieses Modell entwickelt hat und was die erfolgreiche Partnerschaft mit dem AMS Steiermark ausmacht. Norbert Glieder, der die Chance B Sozialökonomischen Betriebe noch bis Ende August 2023 leitet, Michael Longhino, Prokurist der Chance B, und Gottfried Walter, Geschäftsstellenleiter des AMS Gleisdorf, gaben Einblicke.

Herr Glieder, Sie haben die Sozialökonomischen Betriebe der Chance B fast 15 Jahre lang geleitet. Vor welchen Herausforderungen standen die arbeitssuchenden Menschen damals und gestalten sich diese heute anders?

Norbert Glieder: Die Problemlagen sind aus meiner Sicht die gleichen geblieben, aber die Haltung zur Arbeit hat sich verändert. Die Menschen erwarten viel mehr vom Arbeitgeber als früher. Damals war klar, man ist bei einer Firma und hat dort einen Auftrag, den man im Rahmen der eigenen Fähigkeiten erbringt. Heute gibt es viele individuelle Wünsche an den Arbeitgeber, zum Beispiel was und wie viel im konkreten Arbeitsbereich getan wird. Man hat stärker darauf zu achten, wo die Belastungsgrenzen der Menschen liegen, wenn man nicht auf alle Wünsche eingehen kann.

Warum gibt es die Sozialökonomischen Betriebe als arbeitsmarktpolitisches Programm in der Chance B?

Michael Longhino: Unser Sozialökonomischer Betrieb ist ein wirkungsvolles Instrument, um arbeitssuchenden Personen, die es nicht einfach haben am ersten Arbeitsmarkt Fuß zu fassen, ganzheitlich und mit nachhaltigem Erfolg bei ihrem (Wieder-)Einstieg ins Berufsleben zu begleiten. Als Anerkennung für ihren wertvollen Beitrag in unseren Betrieben bekommen unsere Transitarbeitskräfte ein vollversichertes Dienstverhältnis und entsprechende Entlohnung. Durch Qualifizierung am Arbeitsplatz, seit letztem Jahr auch durch individuelle Schulungen im Bereich der Digitalisierung, schaffen wir neue berufliche Perspektiven und stärken gleichzeitig das Selbstbewusstsein. Dabei können wir auf eine verlässliche Partnerschaft mit und Unterstützung durch die regionalen Geschäftsstellen des AMS in der Ost- und Südoststeiermark vertrauen. Es freut mich besonders, dass wir nach 15 Jahren Leitung durch Norbert Glieder heute nicht nur stolz sein können auf das Vermitteln und Begleiten von arbeitssuchenden Personen, sondern ganz besonders auch auf die Qualität unserer Produkte und Dienstleistungen. Unsere Kund:innen können beim Kauf unserer Produkte zu einer regionalen und sozial verantwortlichen Kreislaufwirtschaft beitragen.

Norbert Glieder: Das Arbeiten ist eine sehr lange Phase im Leben der Menschen. Daher sind die Sozialökonomischen Betriebe ein tragendes Programm im Chance B Modell. Die Menschen, die hier befristet arbeiten, sollen wieder in den ersten Arbeitsmarkt einsteigen können. Abseits der messbaren Wirkungen, beispielsweise wie viele nach diesem Programm einen Job finden, sind viele positive Veränderungen sichtbar: Menschen, die wenige Kontakte hatten, kommen wieder mit anderen Menschen zusammen. Sie erhalten die Wertschätzung für ihren Beitrag zu einem Produkt oder einer Dienstleistung und bekommen dadurch selbst auch die Bestätigung, dass sie etwas können. Ihr Selbstwert erhöht sich und so werden sie auch autonomer in der Lebensgestaltung. In der Zeit, in denen die Personen in den Sozialökonomischen Betrieben mitarbeiten, bekommen sie wieder Stabilität im Leben. Denn sie werden durch verschiedenste Maßnahmen – von der Schuldenregulierung bis hin zur gesundheitlichen Abklärung in Bezug auf Arbeitsmöglichkeiten – unterstützt. Ich habe Menschen gesehen, die sehr verunsichert zu uns gekommen sind und danach wieder eine Perspektive hatten, weil sie dazugelernt haben und sich mehr zutrauen.

Welche Sozialökonomischen Betriebe gibt es in der Chance B und wer kann hier mitarbeiten?

Norbert Glieder: Zu den Bereichen zählen die Näherei, Reinigung, Gartenpflege, Baumschule, Küche und das Restaurant. Mitarbeiten können befristete Transitmitarbeiter:innen, die über das AMS zu uns kommen. Das sind in der Regel langzeitarbeitslose Menschen, die meist über 50 Jahre alt sind und gesundheitlich durch körperliche oder psychische Belastungen beeinträchtigt sind, Wiedereinstieger:innen und Menschen mit Behinderung. Sie werden von fachlichen Schlüsselkräften und einer Sozialpädagogin begleitet.

Wie werden Menschen, die einen Transitarbeitsplatz in den Sozialökonomischen Betrieben erhalten, begleitet?

Norbert Glieder: Grundsätzlich werden sie ab dem Vorstellungsgespräch sozialpädagogisch begleitet. Diese Begleitung läuft über die gesamte Verweildauer bei uns durch. Das passiert in Gesprächen und in der Aufgabenverteilung, um sie zu fordern, aber nicht zu überfordern. Es geht darum, die richtigen Aufgaben für die Menschen zu finden. Die Menschen setzen sich mit der Sozialpädagogin zusammen, sprechen über ihre Fähigkeiten und wir überlegen uns, wie sie diese in den Betrieb einbringen können. Sie sollen ihre Kompetenzen aber auch weiterentwickeln und die Neugierde bekommen, etwas Neues auszuprobieren.

Welche Weiterentwicklungen haben Sie in Ihrer Zeit als Leiter auf den Weg gebracht?

Norbert Glieder: Das Team der Fachkräfte ist deutlich gewachsen, dadurch ist eine viel engmaschigere Begleitung der Menschen möglich. Außerdem wurde die Ausstattung der Betriebe maßgeblich verbessert, beispielsweise wurde zuletzt der Gastgarten des gut.-Restaurants mit einem modernen Pavillon und einer großflächigen Terrasse neugestaltet. In meiner Anfangszeit wurden täglich etwa 50 Essen in der Küche gekocht, heute werden rund 300 Speisen am Tag zubereitet. Es hat sich strukturell und konzeptionell einiges weiterentwickelt, um die Menschen gut begleiten zu können. Durch die weiteren Fachkräfte konnte auch die Qualität der angebotenen Produkte und Dienstleistungen gesteigert werden – ob im Restaurant, der Näherei oder in der Gartengestaltung. In der Näherei wurde die Thematik der Kreislaufwirtschaft eingeführt. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in jedem Bereich viel passiert ist: in der betrieblichen Ausstattung, personell und somit auch in der Qualität.

Herr Walter, warum setzt das Arbeitsmarktservice Steiermark seit den 1980er Jahren auf die Zusammenarbeit mit der Chance B?

Gottfried Walter: In den 80er Jahre sind wir erstmals mit stark steigenden Arbeitslosenzahlen und mit Langzeitarbeitslosigkeit konfrontiert gewesen. Es gab daher eine Hochblüte der experimentellen Arbeitsmarktpolitik, in der sehr viele Projekte entstanden sind, wie auch der Sozialökonomische Betrieb der Chance B. Personen ohne Job sollten die Möglichkeit erhalten, so weit stabil zu werden, dass sie wieder in den regulären Arbeitsmarkt einsteigen können. Dafür hat die Chance B dem AMS Arbeitsplätze zur Verfügung gestellt, wo Langzeitbeschäftigungslose und Personen mit multiplen Problemlagen ihre Kompetenzen ausbauen und sozialpädagogisch unterstützt werden. Seither haben wir mit der Chance B sehr gute Erfahrungen gemacht, die auch auf die handelnden Akteurinnen und Akteure zurückzuführen sind. Mit Norbert Glieder haben wir in den letzten 15 Jahren erfolgreich zusammengearbeitet. In regelmäßigen Terminen haben wir über Herausforderungen gesprochen und immer wieder Lösungen gefunden. Die erreichten Erfolge durch die enge Kooperation belegen auch die aktuellen Zahlen zu den Sozialökonomischen Betrieben in der Steiermark.

Was lässt sich aus dieser Statistik ablesen?

Gottfried Walter: 42 Prozent der Personen, die den Sozialökonomischen Betrieb verlassen, sind auch am 92. Tag nach ihrem Ausstieg noch in Beschäftigung. Diese Vermittlungsquote ist eine der höchsten in der Steiermark. Durch Investitionen des AMS in dieses Projekt erhalten bis zu 35 Personen jährlich die Möglichkeit, während ihrer zeitlich befristeten Beschäftigung Know-how zu erwerben, um wieder in den regulären Arbeitsmarkt einsteigen zu können.
Wenn man sich die Zahlen der Arbeitslosen genauer ansieht, erkennt man, dass immer mehr Personen mit gesundheitlichen Einschränkungen von Arbeitslosigkeit betroffen sind – das ist bereits jede:r Zweite. Das heißt, Projekte wie der Sozialökonomische Betrieb werden in Zukunft eine noch höhere Bedeutung erhalten. Daher plädiere ich dafür, diese Projekte auszubauen und aktive Arbeitsmarktpolitik zu betreiben. Denn Langzeitarbeitslosigkeit wirkt sich auf die persönliche Gesundheit aus und Investitionen in diesen Bereich rentieren sich somit vielfach auch aus volkswirtschaftlicher Perspektive.

Welche persönlichen Entwicklungen wurden bei den Menschen, die in einem Sozialökonomischen Betrieb der Chance B gearbeitet haben, sichtbar?

Gottfried Walter: Die Leute, die aus diesem Projekt austreten, sind weitaus stabiler als zuvor. Sie fühlen sich von der Gesellschaft gebraucht und respektiert und haben wieder ihren Platz gefunden. Dadurch treten sie deutlich selbstbewusster auf. Das sieht man immer wieder und daher ist das Projekt auf für jede:n Einzelnen sehr wertvoll.

Herr Glieder, was ist aus Ihrer Sicht für die Sozialökonomischen Betriebe in Zukunft wichtig?

Norbert Glieder: Es braucht ein stabiles Umfeld auf allen Ebenen: Es ist wichtig, dass die Fördersituation vom AMS keine starken Schwankungen hat, das Fachkräfte-Team konstant bleibt und der Geist sowie die Energie für Neues und Innovatives da ist. In Hinblick auf die Digitalisierung sind die Menschen noch stärker auf die damit verbundenen Anforderungen vorzubereiten. Mit 1. September 2023 übernimmt Prokurist Michael Longhino die interimistische Leitung der Sozialökonomischen Betriebe, wodurch weiterhin für Stabilität gesorgt ist.

Herr Longhino, worauf achten Sie in dieser Übergangsphase bis zur Neubesetzung der Position?

Michael Longhino: Mit dem bestehenden, seit Jahren etablierten Team werden wir dafür sorgen, dass die Zusammenarbeit mit dem AMS und die Begleitung der Transitarbeitskräfte auch weiterhin in gewohnter Qualität erfolgt. Die Betriebe wirtschaftlich zu führen und für unsere Gäste und Kund:innen hochwertige Produkte und Dienstleistungen anzubieten ist ebenso wichtig. Als Ansprechperson für unser Team, unsere Partner vom AMS und unsere Kund:innen stehe ich gerne zur Verfügung und freue mich schon darauf, unsere neue Leitung nach Besetzung bei der Einarbeitung in die vielfältigen Aufgaben in der Führung eines Sozialökonomischen Betriebes zu begleiten.