• Gruppenbild der Vereinsmitglieder 1986

Geschichte der Chance B

Chance B – Vorzeigemodell in der Region und in Europa

Chance B ist heute über die Grenzen der Steiermark hinaus bekannt - das war nicht immer so.

Begonnen hat die Geschichte der Chance B im Jahr 1983, als der engagierte Sonderschullehrer, Franz Wolfmayr, erstmals Kinder aus Heimen oder aus der Psychiatrie in der Sonderschule Gleisdorf unterrichtete. Damals gab es für Kinder mit Behinderung keine Unterstützung und sie verbrachten ihren Alltag alleine im Heim oder im Krankenhaus. Durch den Besuch der Schule erhielten sie erstmals die Chance, sich weiter zu entwickeln und zu lernen. Angespornt vom Lernerfolg der Kinder und Jugendlichen wurde 1986 der Selbsthilfeverein „Chance B" von Eltern sowie von Lehrerinnen und Lehrern der Allgemeinen Sonderschule gegründet. Die Initiative sollte äußerst erfolgreich werden.

Viele kleine Schritte
Rasch entwickelten die Vereinsmitglieder neue Ideen und bereits 1989 startete das erste nachschulische Angebot - die „Beschäftigungstherapie“. Zugleich öffnete der erste Dienstleistungsbetrieb mit drei Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern seine Türen und Chance B erhielt erste Aufträge vom AMS. In weiterer Folge erarbeiteten Chance B-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ein Konzept zur Unterstützung von Menschen mit Behinderung von Geburt an: 1990 wurde die erste regionale Frühförderstelle gegründet.

Franz Wolfmayr eröffnet Kopierdienst

Pionierarbeit in der Region
Chance B leistete Pionierarbeit im Aufbau von mobilen Maßnahmen zur beruflichen Integration. 1991 wurde der erste Arbeitsassistent Österreichs für Menschen mit Behinderung von der Chance B angestellt. Vorerst war sein Gehalt durch einen Kredit finanziert, bald jedoch erhielt Chance B dafür öffentliche Unterstützung. Im gleichen Jahr startete Chance B erfolgreich die mobile Hauskrankenpflege. Zwei Jahre später wurde ein Ambulatorium für Kinder und Jugendliche mit Behinderung eröffnet. Chance B ist somit der erste Anbieter für mobile Therapien mit Kassenvertrag in der Steiermark.
1994 wurde die erste gemeinnützige GmbH gegründet. Zwölf Gemeinden konnten als Gesellschafter der Sozialbetriebs GmbH gewonnen werden.

Mitgestalten von Konzepten
Im Auftrag des Bundessozialamtes konzipierte Chance B 1995 sieben Maßnahmen zur beruflichen Integration, die heute österreichweit als Netzwerk Berufliche Assistenz verfügbar sind. Über den Dachverband „Die Steirische Behindertenhilfe" forcierte Chance B das Steiermärkische Behindertengesetz 2004 und gestaltete maßgeblich die Konzeption der LEVO-Leistungen.

Die Gründung der Selbsthilfefirma „Hausmasters“ 1999 war ein weiterer Meilenstein. Heute beschäftigt der Wirtschaftsbetrieb rund 70 Personen mit geringen Chancen für den ersten Arbeitsmarkt. Mit seinen 50 Dienstnehmerinnen und Dienstnehmern mit gesundheitlichen Einschränkungen ist die Firma der größte Arbeitgeber für Menschen mit Behinderung in der Region.

Ein großer Meilenstein gelang Chance B 2001: In Pischelsdorf eröffnete die Steiermark weit erste Tagesförderstätte für Menschen mit schwerer mehrfacher Behinderung. Wenige Jahre später wurde in Gleisdorf gemeinsam mit der neuen Allgemeinen Sonderschule eine weitere Tagesförderstätte errichtet.

Im Laufe der Jahre kamen zum Dienstleistungsangebot weitere mobile Leistungen wie Projekte zur Arbeitsvermittlung, der Familienentlastungsdienst und die mobile, sozialpsychiatrische Betreuung hinzu. Anfang 2010 öffnete das Wohnhaus der Chance B seine Türen, wenige Monate später der LEBI-Laden der Chance B – ein besonderer Sozialladen.

Chance B heute

Der Verein Chance B ist eine Interessenvertretung für Familien und Angehörige von Menschen mit Behinderung sowie für Menschen mit Behinderung selbst. Für seine operative und wirtschaftliche Tätigkeit hat er gemeinnützige GmbHs aufgebaut - die Chance B Gruppe.

Für Menschen mit Beeinträchtigung ist es normal geworden, selbständig zu leben und passende Unterstützung dafür zu nutzen. Das Steiermärkische Behindertengesetz gibt den Menschen und deren Familien heute einen Rechtsanspruch auf die notwendigen Hilfen.
Die Behindertenrechtskonvention der UNO wurde von Österreich ratifiziert – sie schafft für das Recht auf ein Leben inmitten der Gesellschaft einen übergeordneten Rahmen. 

Das ist mit ein Erfolg sowohl des Vereins Chance B als auch der umfassenden Aktivitäten der Chance B Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die für den Lebensalltag von Menschen gute Dienstleistungen erbringen und sich konsequent durch Interessensvertretung für die Gestaltung von Rahmenbedingungen für Soziale Arbeit einbringen.

Therapeut arbeitet mit einem Kind im Therapieraum
Porträt eines Visionärs.

Untrennbar mit Chance B verbunden:

FRANZ WOLFMAYR

Franz Wolfmayr 1990_sw

Franz Wolfmayr Chance B Gründer im Klostergarten 1990
   

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Franz Wolfmayr Visionär und Menschenrechtsexperte 2015
      

Er ist Mitbegründer der Chance B und war über 20 Jahre Chance B-Geschäftsführer. Ebenso hat er sich als Präsident des europäischen Dachverbandes für Behindertenhilfe einen Namen gemacht.  Durchhaltevermögen und Zielstrebigkeit zeichnen ihn und seine Arbeit noch immer aus. 

Als Einzelkind in Gallspach im oberösterreichischen Hausruckviertel aufgewachsen,  kam Franz Wolfmayr bereits mit 10 Jahren ins Internat im Stiftsgymnasium Kremsmünster. „Das waren harte Zeiten,“ erinnert sich Franz Wolfmayr an die Zeit, in der er nur selten zu seiner Familie nach Hause kam. Mit abgeschlossener Matura verließ er seine Heimat, um in Graz Pädagogik und Soziologie zu studieren. Bereits zu Studienzeiten zeigte sich sein Engagement für Randgruppen unserer Gesellschaft. Gemeinsam mit Studienkolleginnen gründete er die „Aktion Spielbus“. Ein alter Bus der Stadtwerke diente als Vehikel. Mit Spielmaterial aller Art – von Kartons über Schachteln und Rohre – vollgepackt, wurden Spielplätze in benachteiligten Stadtvierteln von Graz angefahren. Kinder und Jugendliche konnten sich auf diese Art und Weise spielerisch ausdrücken und fanden Ansprechpersonen für ihre Anliegen und Bedürfnisse. Den von der Stadt Graz finanzierten Spielebus gibt es noch heute.

Gründung der Chance B in Gleisdorf
1981 kam der ausgebildete Sonderschullehrer nach Gleisdorf, die Heimatstadt seiner ersten Frau. Franz Wolfmayr erhielt eine Anstellung an der Sonderschule Gleisdorf, wo er gemeinsam mit Eltern und Lehrerinnen  und Lehrern Pionierarbeit in Sachen Integration von Menschen mit Behinderung leistete. 1989 war er Mitbegründer des Vereins Chance B und erstmals konnten Kinder mit schwerer Behinderung, die zuvor in der Psychiatrie untergebracht waren, die Schule besuchen.
Es folgten viele innovative Meilensteine auf politischer Ebene ebenso wie im Unternehmen Chance B. Einer der größten Schritte war die Einführung einer Arbeitsvermittlung für Menschen mit Behinderung. 1991 stellte die Chance B den ersten Arbeitsassistenten Österreichs an. „Wir haben es versucht und daran geglaubt,“ erzählt Franz Wolfmayr, der  anfangs dieses Vorhaben mit einem Kredit finanzierte. Durch seinen Weitblick und sein persönliches Netzwerk fand Franz Wolfmayr immer wieder Möglichkeiten zur Unterstützung seiner Ziele. Zielvorstellungen wurden auch formuliert, wenn der Chance B-Geschäftsführer sich mit gleichgesinnten Freunden aus der Branche traf. “Mit zwei Kollegen, die auch heute eine wichtige Rolle in der Behindertenhilfe haben, traf ich mich regelmäßig – also dreimal im Jahr für mindestens zwei Tage – um Zukunftsvisionen zu entwickeln. Wir fuhren auf die Alm und dachten darüber nach, wie die Zukunft der Behindertenhilfe aussehen sollte.“ Eine dieser Wunschvorstellungen war und ist, die Rahmenbedingungen für ein „Leben zu Hause“ zu schaffen. Franz Wolfmayr schaffte es, mobile Leistungen im Bereich der Frühförderung, Therapie und Pflege anbieten zu können. So wurde die Lebensqualität von benachteiligten Menschen in abgelegenen Orten, wie es sie vor allem im Bezirk Weiz häufig gibt, deutlich verbessert.

Aufbauarbeit in der Behindertenhilfe
Während all dieser Arbeit in der Chance B, die heute jährlich 2700 Personen betreut und begleitet, hat Franz Wolfmayr sich stets als Vertreter von Menschen mit Behinderung  gesehen. Gemeinsam mit der Landesregierung arbeitete  er an neuen  Konzepten. Wolfmayr war beispielsweise maßgeblich daran beteiligt, die Ausbildung zum Fachsozialbetreuer-Behindertenbegleitung in der Caritasschule in Graz zu entwickeln. 10 Jahre lang hat er dort dann auch selbst unterrichtet. „Die Rahmenbedingungen für Menschen mit Behinderung zu sichern, ist mir besonders wichtig“, betont er. In seiner langjährigen Funktion als Dachverbandspräsident der Steirischen Behindertenhilfe wirkte er unter anderem  an der Konzeption des neuen Steirischen Behindertengesetzes im Jahr 2004 mit. Derzeit arbeitet Wolfmayr in verschiedenen EU-Projekten mit und ist als Berater und Menschenrechtsexperte gleichermaßen für Dienstleistungsanbieter oder Vertreter von Behörden und Politik im ganzen europäischen Raum gefragt. 

Vernetzung in ganz Europa
Seit Jahrzehnten organisiert der reiselustige Gleisdorfer eigene Studienreisen, um anhand von Best Practice Beispielen zu lernen und neue Perspektiven zu gewinnen. Stärkere Vernetzung und die Verbesserung des Informationsaustausches waren auch seine Motive für das Mitwirken im europäischen Dachverband der Behindertenhilfe: EASPD.  Von 2008 bis 2016  stand Franz Wolfmayr dem Verband vor.

Wahrscheinlich waren die frühen Eindrücke der Kindheit prägend, wo in der elterlichen Frühstückspension in einem Kurort täglich Menschen mit Behinderung ein und aus gingen bzw. mit dem Rolli fuhren. „Das war für mich ganz normal“, resümiert Wolfmayr, der - durch seine kraftvollen Visionen  - Undenkbares für Menschen mit Behinderung in die Realität umsetzt.

Porträt erstellt von Mag. Karin Reder, anlässlich des 60. Geburtstages von Franz Wolfmayr